Sehnsucht nach Gemütlichkeit

Warum nur nennen die Deutschen die mächtigste Frau der Welt „Mutti“?

Angela Merkel nervt. Da schafft es eine Frau an die Spitze unseres Landes und was passiert? Nahezu nichts. Langweilige, uninspirierte Politik, Stillstand und Ausharren. Nie hätte ich gedacht, dass ich – Kind alternativ angehauchter Eltern, die in der stock-konservativen rheinischen Provinz der 80er Jahre politische Outlaws waren – mich einmal mit einer CDU-Politikerin solidarisieren würde. Tue ich auch nicht, jedenfalls nicht, was Angela Merkels phantasielose Politik angeht. Tue ich aber doch, wenn es um die Frage geht, wie wir in diesem Land mit starken Frauen umgehen.

Angela Merkel gilt als mächtigste Frau der Welt. Auf sie hören EU-Politiker in Brüssel ebenso wie Staatsmänner jenseits des Atlantiks oder diesseits des Urals. Ihre Politik mag langweilig sein, aber gerade ihre Beharrlichkeit trägt ihr, auch international, Respekt ein. Und wie nennen die Deutschen diese Frau? „Mutti“. Das ist auf gleich mehreren denkbaren Ebenen total daneben – ob als erbärmlicher Versuch, sich eine machtvolle Frau ungefährlich zu reden oder ob als naive Stilisierung einer Kanzlerin, die angeblich ständig gut für ihre Lieben sorgt. Ursprünglich stammt die Bezeichnung offenbar von (deutlich älteren) CDU-Machos, die sich damit in Hinterzimmern über Merkel lustig machten. Das frühere „Kohls Mädchen“ funktionierte nicht mehr, „Mutti“ war geboren. Merkwürdigerweise ist dieser in meinen Augen eindeutig negative und herabsetzende Ausdruck bei den Wählerinnen und Wählern mittlerweile jedoch überwiegend positiv besetzt.

Wurde Margaret Thatcher noch respektvoll-schaudernd als „Eiserne Lady“ bezeichnet, fokussiert man im Falle Angela Merkels auf das manchmal Betuliche, vermeintlich Mütterliche der Kanzlerin. Dahinter steckt offenbar eine große Portion deutscher Sehnsucht nach Gemütlichkeit. Was soll das? Die kinderlose Akademikerin Merkel passt so gar nicht zu diesem Bild. In ihrem Büro hängt bezeichnenderweise ein Porträt von Katharina der Großen – nicht gerade bekannt für übermäßige mütterliche Fürsorge und Empathie. Wenn überhaupt, würde doch „Mutti“ zur früheren Familien- und jetzigen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen passen, die sich zumindest eine Weile lang als Super-Mutter der Nation positionierte. Aber die ist ja jetzt „Flinten-Uschi“.

Was für ein Schock: Mutti hat Brüste!

Und dann, 2008, der Schock: Mutti hat Brüste! Bei der Eröffnung der neuen Oper in Oslo trug Angela Merkel ein tief ausgeschnittenes Abendkleid. „Darf sich Deutschland damit brüsten?“, titelte der Berliner Kurier. Das Thema schaffte es bis in die Bundespressekonferenz: „Die Bundeskanzlerin ist ein bisschen erstaunt gewesen“, kommentierte damals der Regierungssprecher trocken.

Auf dem Höhepunkt des quälenden Gezerres der großen Koalition um die Frauenquote hat Unionsfraktionschef Volker Kauder Ende November 2014 Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) aufgefordert, nicht „so weinerlich“ zu sein. Nicht nur die öffentliche Empörung war groß, auch Angela Merkel war Kauders Entgleisung offenbar höchst unangenehm, jedenfalls entschuldigte sie sich laut Medienberichten bei Schwesig für das Verhalten ihres Parteigenossen. Angeblich hatte sie auch noch einen weiteren Trost für die jüngere Kollegin: Sie selbst habe man früher „Zonenwachtel“ genannt.

Merkel selbst kommentiert den Spitznamen „Mutti“ übrigens ganz entspannt. Die Bezeichnung sei keineswegs „ehrenrührig“, immerhin umfasse sie, dass man Verantwortung hat. Und schließlich: „Da ich nun mal eine Frau bin, sind männliche Bezeichnungen eher unwahrscheinlich.“ Das, finde ich, ist schon eine extrem lässige Antwort.

(Dieser Text ist auch in der aktuellen Januar-Ausgabe von Info3 mit dem Titelthema „Weibsbilder“ erschienen. Mehr Infos dazu hier.)