Zurück in die Zukunft?

Ein „Digitalpakt“ also. Fünf Milliarden Euro will Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dafür locker machen – und so den angeblichen digitalen Notstand an deutschen Schulen beheben. Bis 2021 sollen alle 40.000 Schulen in Deutschland – Grundschulen, weiterführende Schulen und Berufsschulen (jeweils auch in privater Trägerschaft) – Breitbandanschlüsse, WLAN und Tablets erhalten. Mitte Oktober stellte Wanka ihr mit dem albernen Kunstwort „DigitalPakt#D“ betiteltes Vorhaben vor, das, sollte es tatsächlich umgesetzt werden, das umfassendste Schulprogramm des Bundes seit dem forcierten Ausbau der Ganztagsbeschulung wäre.

Neben dem erwartbaren Jubel der Industrie („ein Fest“, zitiert Spiegel online einen IT-Manager) wurden gleich nach Bekanntgabe der Pläne allerdings auch kritische Stimmen laut. Von einer „Verdummungsmaßname“ sprach der Neurowissenschaftler und „Digitale Demenz“-Autor Manfred Spitzer, der gar eine „Bildungskatastrophe“ heranziehen sieht. Auch Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, warnte: Die vielfach bereits bestehende „Neigung zum Häppchenwissen“ werde durch mehr Digitalisierung nur verstärkt. „Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen“, brachte DGB-Vizechefin Elke Hannack ihre Vorbehalte auf den Punkt (ebenfalls bei Spiegel online). Und in der Tat: Sind fehlendes WLAN und zu wenige Tablets wirklich das dringlichste Problem an deutschen Schulen?

Die Argumente der Befürworter sind seit vielen Jahren die gleichen: Unsere Kinder bräuchten dringend Medienkompetenz, sonst seien sie auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft heillos überfordert. Die eigentliche Herausforderung der Digitalisierung besteht allerdings nicht darin, Benutzeroberflächen kennenzulernen, die erstens schon Kleinkinder intuitiv bedienen können und die sich zweitens ohnehin alle paar Jahre wieder ändern. Es geht um viel mehr: Kaum jemand überblickt heute, welches Potential digitalisierte Vernetzungsmöglichkeiten für eine neue Form des Lernen und auch des Arbeitens haben können. Kollaborative Arbeitsformen, wie etwa das gemeinsame Entwickeln von Texten und Präsentationen, stecken nicht nur an den Schulen, sondern auch bei den meisten Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Der Digitalpakt könnte die technischen Grundvoraussetzungen schaffen, um ein solches, ganz anderes Lernen und Arbeiten schon an den Schulen übend zu entwickeln. Genauso wichtig wären dafür allerdings entsprechend geschulte und aufgeschlossene Lehrerinnen und Lehrer sowie fundierte didaktische Hilfestellungen, damit sich diese gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern auf eine solche Entdeckungsreise begeben könnten.

Und genau da liegt wahrscheinlich das größte Problem, denn eine solche Unterstützung und Bereitstellung entsprechender Programme für die Lehrerinnen und Lehrer ist im föderalistisch organisierten deutschen Bildungswesen Ländersache. Ob und wie jedoch die Länder dieser Aufgabe nachkommen können und wollen, ist höchst fraglich – schließlich fehlt ihnen das Geld ohnehin an tausend anderen Stellen. Erinnert sich noch jemand an die Sprachlabore, die ab den 1960er Jahren an deutschen Schulen mit hohem Kostenaufwand und euphorischen Erwartungen eingerichtet wurden? In den 1980ern wirkten die mittlerweile verwaisten, trostlosen Räume wie Relikte eines im Rückblick lachhaften Fortschrittdenkens. Die Sorge liegt auf der Hand, dass der Fünf-Milliarden-Geldsegen des Bildungsministeriums am Ende ähnlich versandet, weil er eben doch vor allem in technische Ausstattung gesteckt wird, die nach ein paar Jahren veraltet und nutzlos ist – und weil er nicht von langfristig wirksamen Maßnahmen auf pädagogischer Ebene begleitet wird. Und das ist dann nicht nur eine traurige, sondern vor allem eine ärgerliche Vorstellung.

(Dieser Kommentar erscheint auch in der November-Ausgabe der Zeitschrift Info3, die sich mit einem ausführlichen Titelschwerpunkt mit dem Thema „Medienmündigkeit“ auseinandersetzen wird. Mehr Infos und Probeheft hier.)