Einfach Fahrrad fahren

Wenn Radfahren Revolte bedeutet

Das entsetzliche Schicksal des zu zu tausend Stockhieben verurteilten, inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawis dauert an und macht weiter Schlagzeilen. Zwanzig Wochen lang fünfzig Schläge, immer freitags. Und das in einem Land, dessen Regierung kürzlich vollmundig das „Charlie Hebdo”-Attentat als „feigen Terrorakt” verurteilte. Am vergangenen Freitag fiel die Folter aus: Die Wunden seien noch nicht ausreichend verheilt (mehr Informationen dazu hier bei Amnesty International). Schon morgen soll es möglicherweise weitergehen, unterdessen mehren sich die internationalen Proteste, wie u.a. Spiegel online berichtet.

Gerade in diesen Zeiten lohnt es, den mehrfach ausgezeichneten Kinofilm „Das Mädchen Wadjda“ aus dem Jahr 2013 anzuschauen, der inzwischen auch auf DVD vorliegt. Fahrrad fahren als Mädchen? Allein das Ansinnen gleicht in Saudi-Arabien einer Revolte. Und doch ist es genau das, was sich die wundervolle, zehnjährige Filmheldin Wadjda in den Kopf setzt, nachdem sie sich auf dem Schulweg in einem Vorort von Riat in ein grünes Fahrrad verliebt hat. Wenn sie das besäße, würde sie dem Nachbarjungen Abdullah schon zeigen, dass auch Mädchen mit dem Rad fahren können, und zwar mindestens genauso schnell. Wadjdas Mutter steckt in großen Schwierigkeiten, weil ihr Mann gerade Ausschau nach einer Zweitfrau hält, die ihm endlich den lang ersehnten Sohn schenken soll – von ihr kann das Mädchen keine Unterstützung erwarten. Also heckt sie einen raffinierten Plan aus, um selbst an das nötige Geld zu kommen: Sie, die durch ihre Converse-Schuhe unter dem Kleid und ihre Vorliebe für westliche Musik bei ihren frommen Lehrerinnen bisher immer nur aneckte, bereitet sich auf die Teilnahme an einem Koran-Rezitationswettbewerb vor, dessen beachtliches Preisgeld ihr das Objekt ihrer Begierde verschaffen soll.

Während wir Zuschauer gespannt verfolgen, wie Wadjda diesem Plan mit unnachahmlicher Starrköpfigkeit nachgeht, öffnet sich für eineinhalb Stunden der sonst für westliche Augen verschlossene Vorhang und gibt den Blick auf das Alltagsleben im ultra-orthodoxen Königreich Saudi-Arabien frei, wo jedes übermütige weibliche Lachen, jeder bemalte weibliche Fingernagel in der Öffentlichkeit zum Eklat führen kann. Und dennoch zeigt der Film, dass es offenbar trotz aller Restriktionen kleine Freiräume gibt, die sich mutige Frauen erringen können, wenn auch – bisher – eher in stillem Protest.

Dabei ist schon allein die Tatsache, dass dieser Film überhaupt zustande kam, höchst bemerkenswert: Es handelt sich um den ersten jemals in Saudi-Arabien gedrehten Kinofilm – in einem Land, in dem seit 1975 Kinos verboten sind. Als wäre das nicht spektakulär genug, ist es das Kinodebüt der ersten weiblichen Filmemacherin des Landes. Saudi-Haifa al-Mansur musste sich nicht nur mit der strengen Zensur auseinandersetzen, sondern ging ihrer Arbeit auch unter abenteuerlichen Umständen nach, wie das ebenfalls höchst sehenswerte Making-of der DVD belegt.

Al-Mansur gilt als feministische Vordenkerin in Saudi-Arabien, sie selbst will mit ihrer Arbeit den Frauen ihres Landes eine Stimme geben. „Ich stamme aus einer kleinen Stadt, in der viele Mädchen wie Wadjda leben“, sagt sie. „Mädchen, die große Träume haben, einen starken Charakter und viel Potential besitzen. Diese Mädchen können – und werden – unsere Gesellschaft umbauen und neu definieren.“ Immerhin: Seit dem Frühjahr 2013 erlauben die religiösen Sittenwächter den Frauen das Radfahren, wenn auch nur unter Aufsicht eines männlichen Verwandten.

Mit „Das Mädchen Wadjda“ ist jedenfalls entgegen allen Wahrscheinlichkeiten ein Filmjuwel entstanden, das nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern ab etwa zehn Jahren ans Herz gelegt sei: ein kleiner Lichtblick, ein Zeichen für einen ersten Schritt auf einem noch langen Weg.

Mehr Informationen:
Das Mädchen Wadjda (2013). Regie: Haifaa Al Mansour. 94 Minuten, freigegeben ohne Altersbeschränkung.
www.wadjda-film.de