Selbstbewusst, lebensfroh, entspannt
„Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“ lautet das diesjährige Fastenthema der evangelischen Kirche – eine lobenswerte Aktion, denn immer noch verbringen gerade viele Frauen viel zu viel Zeit mit einem lebensfeindlichen, unrealistischen Kampf um einen vermeintlich perfekten Körper. Spätestens in mittleren Jahren sollten sie einsehen, dass sie diesen Kampf nur für einen zu hohen Preis und immer nur vorübergehend gewinnen können – und zur Besinnung kommen.
Wenn ich als Kind meine Großmutter besuchte, fiel mir auf der Spiegelkonsole auf dem Gäste-WC immer ein Papiertaschentuch ins Auge, auf dem ein Lippenstift-Abdruck war. Ich kannte das von zu Hause nicht; meine Mutter benutzte keinen Lippenstift. Als meine Großmutter schließlich mit über achtzig Jahren starb, erbte ich unter anderem ein paar richtig schicke dunkelbraune Stiefel mit verblüffend hohen Absätzen und einigen wunderschönen Schmuck. Bis zuletzt redete sie davon, dass sie in bestimmte Cafés nicht gern gehe, weil da nur „lauter alte Leute“ seien – ganz offensichtlich fühlte sie sich denen nicht so recht zugehörig.
„Alt“ und „schön“ als Widerspruch?
Ich selbst bin jetzt Anfang vierzig. Etwa ein halbes Jahr vor meinem vierzigsten Geburtstag habe ich mich entschieden, mit dem Färben meiner schon früh zahlreich auftauchenden weißen Haare aufzuhören. Diesem durchaus radikalen Schritt – ich löste das Ansatz-Problem durch einen Drei-Zentimeter-Schnitt – waren monatelange Recherchen vorangegangen, kritische Blicke auf alle möglichen Frauen um mich herum, ob beim Einkaufen oder in der U-Bahn. Woran liegt es, ob eine Frau „alt“ aussieht? Was bedeutet überhaupt „alt“? Und warum sollte es im Widerspruch zu „schön“ stehen? Ich finde, dass Attraktivität und Ausstrahlung weder an ein biologisches Alter noch an weiße, graue, rote oder blonde Haare gebunden sind. Viel zu tun haben sie dagegen mit Körperspannung, wachen Augen, dem Eindruck, dass jemand liebevoll auf sich selbst achtet. Mit Interesse an der Welt. Manchmal auch mit schöner Kleidung oder tollen Schuhen und ja, auch mit Lippenstift.
Viele Frauen, die in die Jahre kommen, klagen darüber, von Männern nicht mehr wahrgenommen zu werden. Tatsächlich bewegt sich die Bewertung älterer Frauen auf einem schmalen Grad: Modischer Eigensinn und Auffälligkeit gelten schnell als exzentrisch und schräg, unauffällige Frauen mittleren Alters wiederum werden in den Bereich des sexuellen Neutrums verwiesen. Bei den Männern dagegen signalisieren Silberschläfen und gesetztes Alter angeblich Lebenserfahrung, junge Begleiterinnen werden als Beweis ihrer anhaltenden (zumindest wirtschaftlichen?) Attraktivität verbucht. Die gängige biologistische Erklärung für dieses Phänomen lautet, dass Frauen nun einmal spätestens nach der Menopause nicht mehr fruchtbar seien und damit fortpflanzungstechnisch uninteressant, weshalb Männer im gleichen oder älteren Alter, die zumindest theoretisch weiterhin zeugungsfähig sind, sich nach jüngeren Frauen umschauten. Sollte es tatsächlich so archaisch zugehen? Wo bleiben denn die Errungenschaften der menschlichen Zivilisation und Kultur, wenn man sie einmal braucht?!
Wettstreit vermeintlich perfekter Körper
Nicht zuletzt die Verheißungen der Schönheitschirurgie setzen Frauen unter Druck, weil ja schließlich so vieles machbar ist – da ist es jede selbst schuld, wenn sie mit 60 auch tatsächlich wie 60 aussieht. Es ist offensichtlich, dass der Wettstreit vermeintlich perfekter Körper Frauen heftiger betrifft als Männer. Das mag an der Allgegenwart stilisierter Körperbilder in den Medien und der Werbung liegen – umso erfrischender ist es, wenn plötzlich gänzlich unbearbeitete Fotos von Stars auftauchen wie kürzlich von Cindy Crawford. Interessanterweise wird das Supermodell nun dafür gefeiert, obgleich die Bilder keineswegs von ihr selbst, sondern von einer Journalistin geleakt wurden. So toll es ist, wenn nun wieder einmal eine Debatte über Schönheitsideale läuft – eine überwältigende Mehrheit der Frauen spielt das Spiel mit, indem sie sich Schlankheits- und Schönheitsdiktaten unterwirft. Natürlich hätte wohl keine Frau in mittleren oder späteren Jahren etwas gegen das straffe Bindegewebe einer 20-Jährigen einzusetzen. Doch in den meisten anderen Punkten wollte zumindest ich nicht noch einmal 20 sein.
Den Wandel hin zu mehr Anerkennung reiferer Frauen kann man wohl kaum per Dekret verordnen. Vermutlich ist es hier einmal mehr an den Frauen selbst, dass sie sich von Alterszuschreibungen – allgemein von gesellschaftlicher oder konkret von männlicher Seite – befreien und einfach ihr eigenes Ding machen: selbstbewusst, lebensfroh, entspannt. Weiterhin schön sind, wenn auch nicht faltenfrei und nicht in Größe 36. Weiterhin gesehen werden, weil sie nach wie vor Ausstrahlung haben – und etwas zu sagen haben nach 40, 50, 60 oder mehr Jahren Lebenserfahrung. Nicht nur in der Fastenzeit.