Frankfurt ist bunt
Frankfurt ist bunt: Mehr als die Hälfte der Bewohner*innen hat einen migrantischen Hintergrund, bei den Kindern sind es sogar über 70 Prozent. Wie haben Einwander*innen ihr Ankommen in Frankfurt erlebt? Wie prägen ihre Erfahrungen das Familienleben, welche Spuren hinterlassen sie auch noch in den folgenden Generationen? In der Stadtlabor-Ausstellung „Kein Leben von der Stange. Geschichten von Arbeit, Migration und Familie“ stellt das Historische Museum Frankfurt Erfahrungen und Erinnerungen der Betroffenen in den Mittelpunkt. Der Bogen reicht von den „Gastarbeiter*innen“ der Nachkriegszeit bis zu den „Expats“ von heute. Er umfasst Geschichten von Migrant*innen, die selbstbestimmt und erfolgreich zum Beispiel eine Änderungsschneiderei betreiben, ebenso wie solche von Frauen, die gegen ihren Willen in der Sexarbeit landeten.
Migrationserfahrungen sichtbar machen
Bei einem Meetup am 4. März führte uns die Kuratorin Ismahan Wayah durch die Ausstellung, die wie immer beim Stadtlabor-Konzept in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit interessierten Bürger*innen entwickelt wurde. Die Idee dafür ist bereits 2017 beim Stadtlabor „Sammlungs-Check: Migration partizipativ sammeln“ entstanden. Damals stammten viele Teilnehmer*innen aus der zweiten Einwanderergeneration und drückten ihren Wunsch aus, dass ihre Erfahrungen im öffentlichen Raum dokumentiert und wahrgenommen werden.
Bei der Führung gab es Einblicke in ausgewählte Stationen der Ausstellung. An vielen Stellen gilt: Mitmachen ausdrücklich erwünscht. So sind die Besucher*innen eingeladen, Migrationsgeschichte(n) mitzuschreiben, zu nähen, zu erleben, sich auszutauschen.
Vielstimmig und breit vernetzt
Für die Installation „Migration der Stimmen“ haben Jugendliche Familienmitglieder nach ihren Migrationserfahrungen befragt und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Herkunftsstädten und Frankfurt mit Fäden visualisiert. Die Interview-Aufnahmen sind in alten Telefonen „versteckt“, man kann ihnen über die Hörer lauschen.
Ein anderer Bereich betrachtet die Änderungsschneiderei als spannenden Knotenpunkt migrantischer Biografien: Rund 400 solcher Betriebe werden in Frankfurt von Menschen mit Migrationsgeschichte betrieben! Mit einfachen Mitteln und oft auf kleinstem Raum schufen sie sich auf diese Weise wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Leben als „Kofferkind“
Als nächstes Thema erwarteten uns die Erfahrungen der „Kofferkinder“: Kinder der ersten Gastarbeiter*innen-Generation, die zunächst in den Herkunftsländern bleiben mussten und ihre Eltern monatelang nicht sahen oder auch selbst zwischen den Ländern hin- und herpendelten. Sehnsucht nach Mutter oder Vater, Verlust der alten Heimat, Gefühle wie Zerrissenheit und Ungewissheit kommen in den Aufzeichnungen und Gedichten von Tamara Labas zum Ausdruck, die auf hellen Tuchbahnen um einen einsamen Teddybär drapiert sind.
Schattenseiten der Migration: „Bitter Things“
Um die Schattenseiten transnationaler Mutterschaft geht es in der Installation „Bitter Things“ des Künstlerkollektivs bi’bak. Sie fragt danach, wie Frauen Mutterschaft leben, wenn sie teilweise monatelang von ihren Kindern getrennt sind. Oft spielen kostspielige Geschenke eine Rolle, mit denen die fehlende Nähe ausgeglichen werden soll – Konflikte sind dabei natürlich geradezu vorprogrammiert. (Interessant in diesem Zusammenhang: Die abwesenden Väter sind wieder einmal kein Thema.)
Auch das Phänomen der Kettenmigration wird beleuchtet: Dazu kommt es, weil insbesondere die Care-Arbeit – Fürsorge für Kinder und alte Menschen, Haushaltsführung, Putzen und anderes – auch in den Herkunftsländern der Migrantinnen ausgelagert wird, wo wiederum Menschen aus noch ärmeren Ländern diese Arbeiten übernehmen, die ihre eigenen Angehörigen ebenfalls zurücklassen müssen.
Mein Fazit: Eine bunte, unglaublich reiche Ausstellung voller kleiner und großer Geschichten über Migration, über Aufbruch und Ankommen, über Ängste, Sehnsucht und Hoffnung, über Scheitern ebenso wie Gelingen. Gerade heute, wo rechte Populisten gegen Migration und Vielfalt hetzen, sind diese Perspektiven wichtiger denn je. Also – nichts wie hin, die Ausstellung läuft noch bis 5. April.